Der Gott des Gemetzels
Über dieses überaus nachdenkliche aber mindestens genauso Lachmuskelntrapazierende Theaterstück berichtete der Südkurier am 28.11.2016 wie folgt:
Kammerspiel des Liederkranzes Rippolingen ist ein göttliches Gemetzel
Beziehungsdramen oder -komödien gelten hinsichtlich ihrer Publikumswirkung gemeinhin als dankbare Theatergenres. Dies schmälert jedoch keineswegs die beeindruckende und mit frenetischem Applaus bedachte Leistung des Liederkranzes Rippolingen, der am Samstag zur Aufführung des Kammerspiels „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza in den Gemeindesaal geladen hatte.
Die Handlung: Der elfjährige Ferdinand Reille schlägt dem gleichaltrigen Bruno Houillé mit einem Stock die Schneidezähne aus. Wie es sich für Angehörige der französischen oberen Mittelschicht gehört, soll die Angelegenheit zwischen den Eltern der beiden Jungen auf zivilisierte Weise im Wohnzimmer der Houillés geregelt. Soweit zumindest der Plan: Schon bald stellt sich heraus, dass mit der sozialkritisch und künstlerisch sich gebenden Véronique Houillé (Johanna Weiß), der introvertierten und unglücklich verheirateten Annette Reille (Melanie Pfingstler), dem „Gutmenschen und Softie“ Michel Houillé (Stefan Malzacher) sowie dem knallharten Pharmaindustrieanwalt und Macho Alain Reille (Bernhard Gerspach) eine psychologische Gemengelage zusammengefunden hat, deren Explosion nur eine Frage der Zeit zu sein scheint.
Die Achterbahn der Themen im Zuge der zunächst zivilisierten Konversation reißt immer mehr Wunden und Gräben auf. Der Ton wird schärfer, die Haltungen aggressiver. Der anfangs angestrebte Konsens droht an der Frage zu scheitern, inwieweit sich die Täterrolle Ferdinands und die Opferrolle Brunos aufrecht erhalten lassen. Als Katalysator wirkt dabei das eheliche Unglück der beiden Damen, teilen Véronique und Annette doch das Schicksal vieler Frauen: Sie haben zugleich den tollsten Sohn und den schlimmsten Ehemann auf der Welt.
Bald zeigen sich also Risse zwischen den Paaren selbst, so Koalitionen einem steten Wechsel unterzogen sind. Fassaden beginnen zu bröckeln, emotionale Verletzungen und Unzufriedenheit brechen sich Bahn, Überzeugungen und Haltungen werden in Frage gestellt. Nicht gerade hilfreich ist, dass es irgendwann aus Madame Reille im wahrsten Sinne des Wortes „herausbricht“ und der Mageninhalt ausgerechnet auf einem Bildband landet. Eine zwischenzeitlich „zur Hilfe“ gerufene Flasche Rum führt dann endgültig zur Eskalation.
Vollends überzeugen konnte die schauspielerische Leistung des Quartetts. Mit geradezu beängstigender Intensität wussten Johanna Weiß und Melanie Pfingstler die Frustrationen, Verletzungen und Aggressionen der sich nicht damenhaft gebenden französischen Mittelstandsmütter auf der Bühne abzubilden. Authentisch auch das Spiel von Bernhard Gerspach und Stefan Malzacher, die die beidseitig negativ geladenen Gegenpole männlicher Charakterhaltungen vom egoistischen, karriereorientierten Macho bis zum wankenden und sich stetig wandelnden Weichling präsentierten. Das Publikum kam in den Genuss einer sehr sehenswerten und vielumjubelten Vorstellung unter der Regie von Axel Albiez und Hans Joachim Anders.